Escolha o Idioma

4/22/2015

Alkoholmissbrauch im Alter

Wenn Senioren zu tief ins Glas blicken

Nicola von Lutterotti 



Nicht wenige Senioren trinken zu viel Alkohol. Das schädigt Körper und Geist und bedroht ihre Selbständigkeit. Eine Abkehr von der Sucht ist möglich, wenn Gleichgültigkeit und therapeutischer Nihilismus überwunden werden.

Während die Alkoholexzesse jugendlicher «Komasäufer» häufig zu Schlagzeilen führen, bleibt eine andere, ebenfalls beunruhigende Wahrheit im Verborgenen: Der Missbrauch von Alkohol ist nicht nur ein Thema der Jugend, er betrifft auch die ältere Bevölkerung – und das in steigendem Masse, wie etliche Beobachtungen vermuten lassen. 

Ob dieser Trend auf die wachsende «Kopflastigkeit» der Alterspyramide zurückgeht oder mit den Lebensumständen der über 60-Jährigen in Zusammenhang steht, lässt sich aufgrund des Mangels an Daten bis anhin nicht sagen. Am Handlungsbedarf besteht indes kein Zweifel. Denn ein übermässiger Alkoholkonsum schadet nicht nur den Betroffenen selbst, er setzt auch die Angehörigen und Pflegekräfte einer erheblichen Belastung aus.
Öffentlichkeit sensibilisieren

Wichtig sei es daher, die Öffentlichkeit mehr für dieses Thema zu sensibilisieren, schreibt Ambros Uchtenhagen, Stiftungsratsvorsitzender des Schweizer Instituts für Sucht- und Gesundheitsforschung in Zürich, in einem jüngst erschienenen Beitrag in der Fachzeitschrift «SuchtMagazin». Wie er andererseits einräumt, hat sich in den letzten Jahren schon einiges getan. So gebe es auf nationaler, kantonaler und regionaler Ebene mittlerweile eine Vielzahl von Versuchsprojekten mit dem Ziel, die notwendigen strukturellen Voraussetzungen zu schaffen, um Alkoholprobleme bei älteren Menschen frühzeitig zu erkennen und anzugehen.

Von welchen Mengen an der «gute» zum schädlichen Tropfen mutiert, hängt unter anderem vom Geschlecht, dem Alter, dem Gesundheitszustand und dem genetischen Hintergrund ab. Grundsätzlich gilt, dass Frauen nicht mehr als 12 Gramm und Männer nicht mehr als 24 Gramm Alkohol am Tag – entsprechend etwa einem beziehungsweise zwei Gläsern Wein – zu sich nehmen sollten. 

Überschreitet der tägliche Verbrauch 20 Gramm beim weiblichen und 40 Gramm Alkohol beim männlichen Geschlecht, spricht man von einem risikoreichen Konsum. Denn von diesen Schwellenwerten an steigt die Gefahr von Gesundheitsschäden merklich an. Begünstigt wird dabei insbesondere die Entstehung von Krebs und, bei exzessivem Verbrauch, von Demenzleiden und einer Leberzirrhose.
Hohe Dunkelziffer

Was den Anteil von Personen höheren Alters mit riskantem Trinkverhalten angeht, fallen hierzulande knapp 8 Prozent der 65- bis 74-Jährigen in diese Kategorie. Das geht zumindest aus einer Telefonumfrage bei 11 000 Jugendlichen und Erwachsenen hervor, die das Bundesamt für Gesundheit (BAG) im Jahr 2011 in Auftrag gegeben hat. 

Die Dunkelziffer dürfte laut Experten allerdings erheblich sein. Denn zum einen geben insbesondere trinkfreudige Personen ihren wahren Alkoholverbrauch vielfach nicht offen zu, und zum anderen sind telefonische Umfragen kaum geeignet, um auch weniger rüstige Senioren zu erreichen.

Was zudem für gesunde junge Erwachsene noch unbedenklich ist, kann für ältere schon bedrohlich sein. Denn mit zunehmendem Alter sinkt der Wasseranteil des Körpers, und zugleich verringert sich dessen Fähigkeit, Giftstoffe wie Äthanol abzubauen. Die gleiche Menge Alkohol setzt betagten Männern und Frauen daher in der Regel mehr zu als jungen. 

Das gilt umso mehr, als das Alter oft chronische Krankheiten mit sich bringt, was die Anwendung verschiedener Medikamente erforderlich macht. Ob Schmerzstiller, Blutdrucksenker, Gerinnungshemmer, Antidiabetika oder Schlaftabletten: In Kombination mit Alkohol können solche Arzneien gefährliche Wirkungen entfalten.

Laut Monika Ridinger von der Psychiatrischen Universitätsklinik Regensburg hat ein zu tiefer Blick ins Glas vielfach auch ungünstige Effekte auf die Krankheit selbst. So senke Äthanol den Blutzuckergehalt und könne daher die Behandlung eines Diabetes erschweren. Auch Störungen des Fettstoffwechsels, Demenzen und muskuläre Erkrankungen verschlechterten sich unter dem Einfluss von Alkohol, sagt Ridinger.

Um riskantes Trinkverhalten angehen zu können, muss man es erst bemerken. Bei Personen höheren Alters stellt die Diagnose von Alkoholproblemen aber häufig eine Herausforderung dar, zumal die dabei auftretenden Symptome, etwa sturzbedingte Knochenbrüche, kognitive Einbussen und schlecht einstellbare Blutdruckwerte, leicht als normale Alterserscheinungen verkannt werden. Erschwerend kommt hinzu, dass viele ältere Menschen zurückgezogen leben und ihre Lebensgewohnheiten daher niemandem auffallen.

Der Mangel an menschlichen Beziehungen ist zugleich ein häufiger Grund, weshalb Personen höheren Alters zu trinken beginnen. Der erste Schritt in diese Richtung sei oftmals das Ende der Berufszeit, erklärt Ridinger. Denn mit dem Eintritt ins Rentnerleben falle ein wichtiges Beziehungsnetz, dasjenige am Arbeitsplatz, weg. Zur Vereinsamung beitragen könnten ferner schwer verkraftbare Verlusterfahrungen, etwa der Tod des Ehepartners, und das Gefühl, nicht mehr gebraucht zu werden. Einige Betroffene versuchten, ihren Kummer im Alkohol zu ertränken.
Frühzeitiger Heimeintritt

Damit steigt aber die Gefahr, dass sie ihre Selbständigkeit verlieren. Hinweise auf einen solchen Zusammenhang liefern unter anderem die Ergebnisse einer Untersuchung in Süddeutschland. Demnach ist der Anteil von alkoholkranken Senioren in Alters- und Pflegeheimen deutlich höher als derjenige in Privathaushalten. Auch sind die Betroffenen beim Eintritt in solche Institutionen durchschnittlich 16 Jahre jünger als die anderen Heimbewohner.

Ungeachtet solcher Erkenntnisse werden Alkoholprobleme bei älteren Menschen nach wie vor oft verharmlost oder als untherapierbar angesehen. Wie Bernadette Ruhwinkel von der Alterspsychiatrie der Integrierten Psychiatrie Winterthur-Zürcher Unterland im "SuchtMagazin" schreibt, hört man in solchen Fällen häufig: «Lassen wir dem Mann doch seinen Rotwein, er hat ja sonst nichts mehr im Leben.» Gleichgültigkeit oder auch therapeutischer Nihilismus seien jedoch nicht angebracht, sagt Ruhwinkel. Denn wo eine Suchttherapie gelinge, beobachte man meist eine deutliche Besserung der kognitiven Fähigkeiten, einen Anstieg der Lebensqualität und eine Zunahme der Autonomie, die gelegentlich eine Unterbringung im Heim abwenden könne.

Voraussetzung für eine erfolgreiche Behandlung sei allerdings, den Patienten und die ihm nahestehenden Personen eingehend aufzuklären, erklärt Ruhwinkel weiter. Viele Betroffene ahnten nämlich nicht, dass ihr schlechter Gesundheitszustand mit dem Alkoholkonsum in Zusammenhang stehe. Das scheint vor allem bei denjenigen Personen häufig der Fall zu sein, die laut der gängigen Definition kein riskantes Trinkverhalten aufweisen, aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters und ihrer Konstitution aber nur sehr wenig Alkohol vertragen.

Was die Behandlung betrifft, sprechen ältere Menschen auf die gängigen Verfahren grundsätzlich ebenso gut an wie jüngere. Die psychotherapeutischen Ansätze würden allerdings bevorzugt, sagt die Suchtforscherin Ridinger. Denn die verfügbaren Medikamente gegen das Suchtverhalten hätten gerade bei Patienten höheren Alters teilweise erhebliche Nebenwirkungen.

Anders als in der Vergangenheit strebe man bei der Therapie nicht mehr unbedingte Abstinenz an. Ein vollständiger Alkoholverzicht erziele zwar in der Regel die besten Resultate, so Ridinger. Falls der Patient dazu aber nicht bereit sei, müsse man das respektieren und entsprechend umdisponieren. Bei älteren Personen verfolge man schliesslich auch andere Behandlungsziele als bei jüngeren. 

Während bei Letzteren üblicherweise die Rückkehr zum Arbeitsplatz im Vordergrund stehe, gehe es bei trinkenden Senioren eher darum, den Alltag wieder gut meistern und möglichst autonom leben zu können. Ein wesentlicher Bestandteil der Suchttherapie sei überdies, die Ursachen für den erhöhten Alkoholkonsum – etwa den Mangel an Lebensinhalten und die unzureichende soziale Einbindung – anzugehen.

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